GRÜNE Waldbüttelbrunn

Ortsverband

Claudia Kneifel 03. Mai 2018

Robert Hock, Entwicklungsbiologe am Biozentrum der Universität Würzburg

Er ist die derzeit größte Gefahr für die bayerischen Eichen: der Schwammspinner. Millionen von Raupen des heimischen Schmetterlings rüsten sich in diesem Frühjahr zum Kahlfraß. Vergangenen Freitag kam es im Raum Schweinfurt zum ersten Gegenangriff auf Anordnung der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft: Per Hubschrauber wurde großflächig das Gift „Mimic“ ausgebracht, um der Schwammspinner-Plage Herr zu werden. Doch Naturschützer gehen auf die Barrikaden – das Insektizid töte nachweislich nicht nur Schädlinge. Kann man sich in Zeiten des Insektensterbens einen solchen Gift-Flächeneinsatz wirklich noch erlauben? Der Entwicklungsbiologe Robert Hock, Privatdozent an der Universität Würzburg, spricht sich klar gegen diesen Einsatz aus und sagt auch warum.

Schwammspinner-Raupen machen einer Reihe von Waldbesitzern in Unterfranken derzeit große Sorgen. Sind diese Sorgen berechtigt?

Robert Hock: Der Schwammspinner ist ein ausgesprochen wärmeliebender Nachtfalter. Man hat ihn und verwandte Arten früher auch als „Schadspinner“ bezeichnet. Trotz zahlreichen natürlichen Gegenspielern neigt der Schmetterling nach warm-trockenen Frühsommern zu Massenvermehrungen, die das Wachstum der Bäume beeinträchtigen und für den Menschen lästig sein können. Im Frühjahr schlüpfen die Raupen – und weil der Winter sehr mild war, schlüpfen dieses Jahr sehr, sehr viele. Wenn sie in solchen Massen auftreten, können die Tierchen tatsächlich ganze Bäume kahl fressen.

Wie viel frisst eine so kleine Raupe?

Robert Hock: Während der sechs bis zwölf Wochen dauernden Entwicklung frisst jede Raupe etwa einen Quadratmeter Laub. Nach der Verpuppung schlüpfen die Falter zwischen Juli und Ende September. Während die weißen Weibchen sehr flugträge sind, fliegen die braun gefärbten, tagaktiven Männchen im Zickzackflug rastlos umher. Nach der Begattung legt das Weibchen einige Hundert Eier in einem Gelege ab und umhüllt es mit gelblicher Afterwolle. Dieses schwammige Gebilde hat dem Schwammspinner seinen Namen gegeben. Als Schmetterling nimmt der Schwammspinner dann keine Nahrung mehr auf und lebt noch etwa zwei Wochen.

Hat der Schwammspinner auch natürliche Feinde?

Robert Hock: Die Schwammspinner haben eine große Anzahl natürlicher Feinde, von denen viele dazu beitragen können, dass eine Massenvermehrung auf natürliche Weise zu Ende geht: Dazu zählen zum Beispiel Krankheitserreger wie Viren, Bakterien und Pilze, Schmarotzer wie Raupenfliegen oder Brackwespen, aber auch Laufkäfer, Baumwanzen, Weichkäfer, Ameisen, Kröten, Eidechsen, Vögel und Mäuse.

Nun wird das Insektizid „Mimic“ gegen den Schwammspinner gespritzt. Ist das auch für andere Insekten gefährlich?

Robert Hock: Das Insektizid „Mimic“ (Wirkstoff Tebufenozid), das jetzt zur Bekämpfung des Schwammspinners eingesetzt wird, imitiert die Wirkung des Häutungshormons. Es löst eine vorzeitige Häutung der Raupen aus und verhindert so die normale Entwicklung der Tiere. Die Entwicklung wird aber genauso bei allen sich zu diesem Zeitpunkt entwickelnden Gliederfüßern wie Insekten, Spinnen, Krebsen, Tausendfüßern und bei Fadenwürmern gestört. Jetzt im Frühjahr beginnen sich sehr viele Käfer, Schmetterlinge, Bienen, Hummeln, Heuschrecken, Libellen und Fliegen zu entwickeln. Sie werden ganz genauso getroffen. Wenn man also von Insektensterben spricht: Hier ist ein Grund.

Welche Folgen könnte der Gifteinsatz noch auf unsere Umwelt haben?

Robert Hock: Mimic beeinträchtigt auch die Qualität der Böden. Fadenwürmer beispielsweise sind essenziell für die Bodenqualität. Sie bauen Totholz und Laub ab. Die Insekten und ihre Larven sind Hauptnahrungsquelle für die Vögel zur Aufzucht ihrer Brut. Ein Meisenpaar mit Jungen benötigt bis zu 150 Kilogramm Raupen und Insekten pro Jahr. Bis zu 8000 Raupen werden bei einer Brut verfüttert. Nach der großflächigen Vernichtung der Raupen fehlt den Vögeln die eiweißreiche Hauptnahrung. Um ihre Erstbrut durchzubekommen, müssen sie einen riesigen Mehraufwand betreiben. Eine Zweitbrut fällt dann oft sogar aus. Wenn man immer weniger Vögel sieht: Hier ist ein Grund. Betroffen sind auch kleine Bachflohkrebse, die die Nahrungsgrundlage für viele Fischlarven sind. Wenn diese Nahrungsquelle wegfällt, wachsen sie nicht. Wenn die Angler und Fischer immer weniger Fische fangen. Hier wäre ein Grund.

Halten Sie den Einsatz von Mimic für gerechtfertigt?

Robert Hock: Nicht der Schwammspinner ist das Problem für unsere Eichen. Beide existieren schon seit Tausenden von Jahren nebeneinander. Es ist der gegenwärtig hohe Festmeterpreis für Eichenholz. Und der größte Waldbesitzer in Bayern ist der Freistaat. Doch ist es der Eichen-Festmeterpreis wert, Lebensräume ohne Leben zu schaffen?

Gibt es Alternativen zu „Mimic“?

Robert Hock: Mit Spritzmitteln auf Basis von Bakterien (Bacillus thuringiensis) oder Viren (Baculovirus LdMNPV) könnte deutlich weniger Schaden angerichtet werden. Das Baculovirus ist sogar schwammspinnerspezifisch. Man könnte also gezielt gegen den Schwammspinner vorgehen. Das Virus würde sogar nachhaltig einen Wiederbefall verhindern. Wenn man es wollte.

Warum setzt das Forstamt nicht Spitzmittel ein, die weniger Schaden hervorrufen?

Robert Hock: Das weiß ich nicht. Vielleicht ist es zu teuer, vielleicht hat man es noch nicht ausgetestet. Mit dem Insektizid „Dimilin“ hat man zu 98 Prozent alle Raupen getroffen, doch die Zulassung für „Dimilin“ ist 2014 ausgelaufen und eine Zulassungsverlängerung wurde nicht beantragt. „Mimic“ trifft wohl nur 60 Prozent der Raupen, aber zerstört genau wie „Dimilin“ die Lebensräume von vielen anderen Tieren. Was nützt mir der leere Wald, wenn keine Tiere mehr darin vorhanden sind?

Können sich die Eichen auch ohne Gift wieder erholen?

Robert Hock: Viele Bäume reagieren mit dem sogenannten Johannistrieb auf den Befall. Sie treiben im Juni einfach noch einmal aus, wenn die Raupen bereits verpuppt sind.

Robert Hock ist seit 1996 am Biozentrum der Universität in Würzburg und hat dort 2003 in Zell- und Entwicklungsbiologie habilitiert. Als Entwicklungsbiologe beschäftigt er sich auch mit Tagfaltern, Schmetterlingen und Insekten.

Quelle: Main-Post 3.5.2018

Termine

Wir verwenden Cookies, die es uns ermöglichen, die Benutzung der Webseite zu analysieren. So können wir die Seite weiter verbessern. Durch die Nutzung unserer Webseite stimmst Du der Nutzung von Cookies zu. In unserer Datenschutzerklärung findest Du